Artemis


Die Göttin Artemis

Persönliche Gedanken zu Artemis

© Claudia Jenik (Mc Claudia)

 

Artemis, die griechische Göttin der Jagd, der Frauen, der sanften Geburt, der Kinder, der Unverheirateten, des Mondes, der Wälder, der Tiere, der Berge, der Amazonen.

Sie war meine Führerin, meine Göttin, seitdem ich mit 18 Jahren beschlossen habe, Heidin zu werden. Damals habe ich sie noch als Diana verehrt, v.a. auch inspiriert durch Leland's „Aradia“, wo Diana in der mittelalterlichen Hexenkunst Oberitaliens die Funktion einer Schöpfergöttin innehat, des weiteren Königin der Hexen ist, die zusammen mit Lucifer, dem Morgenstern, eine Tochter zeugt, Aradia, die Initiatorin eines neuen Hexenglaubens, der die unterdrückten Menschen zur Rebellion gegen die Machthaber aufstachelt, unter anderem eben mit Hexenkunst, Giftmord, etc. Eine nette Gestalt also, die Diana, dachte ich mir, denn die wilden Gottheiten waren mir immer schon sympathischer als die braven. Und die wilden Göttinnen noch mehr als die Götter.

Diana hat sich, auch wenn ich immer wieder in andere Traditionen hineingeschnuppert habe, wie ein roter Faden durch mein bisheriges heidnisches Leben gezogen. Sie wurde nie uninteressant. 1995 oder so, als ich aus meinem Wicca-Coven gefeuert wurde, hat eine liebe Freundin, die auch Wicca-Priesterin war, aber eher den dianischen Weg ging, für mich ein nettes Initiationsritual arrangiert. Ich war mir bis dato nicht sicher, welche Gestalt einer Göttin tatsächlich die meinige ist. Bei dieser Initiation wurde es mir allerdings geoffenbart. Die ephesische Artemis, die coole Göttin mit dem phrygischen Kultbild, den unzähligen „Brüsten“ (oder auch Stierhoden, wie neuerdings Archäolog/innen meinen) ist mir in Trance erschienen und hat sich vorgestellt. Ich habe Ihr die Treue geschworen. Seitdem ist sie meine Führergöttin, auch jetzt noch, wo ich die Hexenzunft längst verlassen habe, um mich den keltischen Recons anzuschließen. Die Ephesia wird immer den mittleren Platz auf meinem Altar haben.

   

Artemis hat viele Namen, ähnlich wie ihr Bruderherz Apollon. Einzelgöttinnen, die in der Artemis aufgehen, wie z.B. Hekate. Sie wird, wie andere Gottheiten auch, nach ihren Kultstätten benannt, wie eben Ephesia, nach ihrem Tempel, der auch ein Weltwunder war, in Ephesos, oder Tauropolos, nach ihrer Verehrung in Tauris, wo auch Iphigeneia ihre Priesterin war, und wo ihr Menschen geopfert wurden. Aber auch in Sparta hatte sie einen recht drastischen Kult: Ihr zu Ehren wurden Jünglinge gepeitscht, als Mutprobe. Dann gibt es noch die Brauronia, die Artemis der Bären, deren Kult von jungen Mädchen gepflegt wurde, und viele mehr.


   Im Mythos ist Artemis oft auf der Seite ihres Bruders Apollon zu finden. Sie schützt ihre Mutter Leto (die durch Zeus schwanger wurde) in der Schwangerschaft und hilft ihr, Apollon auf die Welt zu bringen, weshalb sie auch von Hebammen und Gebärenden angerufen wird. Das gefällt der jungfräulichen, das heißt männerlosen und unverheirateten Göttin gar nicht, aber dass sie als Eileithyia für die Gebärenden zuständig ist, ist auch schon das einzige Zugeständnis an „typische Frauentätigkeiten“. Grundsätzlich ist sie sehr frei und liebt es, mit ihren Jagdhunden auf ihrem von Hirschen gezogenen Wagen durch die Wälder zu streifen. In der Ilias kämpft sie auf der Seite der Trojaner (wieder zusammen mit Apollon). Den Jäger Aktaion verwandelt sie in einen Hirschen, weil er es gewagt hatte, der nackten Göttin beim Baden zuzusehen. Aktaion wird von seinen eigenen Jagdhunden zerfleischt. Mit der Göttin ist also nicht gut Kirschen essen, wenn es um ihre Jungfräulichkeit geht.

Apropos Jungfräulichkeit: Artemis wird eigentlich nur wütend, wenn sich Männer ihr nähern (oder wenn eine ihrer Nymphen fremdgeht). Das haben heutige spirituell interessierte Lesben und dianische „Hexen“ zum Anlass genommen, Artemis/Diana für sich zu entdecken. Ob Artemis wirklich auch im Mythos eine Lesbe ist, bleibt dahingestellt. Allerdings dürfte sie nichts dagegen haben, heute als Schützerin der „männerlosen“ Frauen geehrt zu werden. 

Eine weitere interessante Geschichte ist die mit Agamemnon vor Aulis: Der König tötete eine Hirschkuh, die der Artemis geweiht war. Die Göttin nahm Rache, indem sie die Winde nach Troja zurückhielt. Agamemnon konnte nur in See stechen, wenn er seine Tochter Iphigeneia der Artemis opfern würde. Gesagt, getan. Aber im letzten Moment kam Artemis dem armen Mädchen zu Hilfe und befreite sie, und warf stattdessen eine Hindin auf den Altar, worauf Agamemnon lossegeln konnte. Und Iphigeneia wurde nach Tauris gebracht, wo sie Priesterin der Jagdgöttin wurde.

Dieser Mythos ist für mich deshalb so interessant, weil er einer wohlbekannten biblischen Geschichte ähnelt, nämlich der von Abraham und Isaak. So wie in der jüdischen Schrift, greift die Gottheit ein, um den Menschen zu retten. Vielleicht ist dieser Mythos ein Symbol dafür, dass auch in Griechenland Menschenopfer nach und nach abgeschafft wurden.
  

 

   Zurück zur Ephesia. 2001 (just einen Tag vor den Anschlägen aufs WTC) fuhr ich nach Ephesos und besuchte meine Göttin. Das Gefühl war genial. Ich musste fast heulen, als ich vor der wiedererrichteten alleinstehenden ionischen Säule stand, dem kläglichen Rest des einstigen Weltwunders. Wie prächtig ist wohl das Artemision gewesen! Ich habe mich im großen Theater auf die Stufen gesetzt und mir vorgestellt, wie die Ephesier lauthals riefen „Megale he Artemis Ephesion!“ – Groß ist die Artemis der Epheser! Und wie sie so den Paulus und seine Mannen aus der Stadt verjagten. 

Ich ging ins Museum von Selçuk und besuchte meine Göttin. Die zwei Marmorstatuen in ihrer Größe zu bewundern hat mir schier den Verstand geraubt, so unglaublich war das Gefühl. Artemis selbst hat ihr Kultbildnis einst vom Himmel geworfen, zum Heil für Ephesos. Das hölzerne Kultbild wurde von einem fanatischen Bischof verbrannt. Aber die steinernen Bildnisse existieren noch. Sie war im römischen Reich so beliebt, dass man sogar in römischen Villen ihre Bildnisse fand. Eine wunderschöne Marmorstatue von ihr ist im Nationalmuseum in Neapel zu bestaunen.

Die Ephesia, eine Mischgöttin aus Artemis und phrygischer Kybele, hat einen für mich wichtigen Aspekt, den die „normale“ griechische Artemis nicht hat: Sie ist Göttin der Amazonen. Callimachus beschreibt in seiner ellenlangen Artemis-Hymne, dass die Amazonen das Kultbild in Ephesos errichtet haben, und davor kultische Waffentänze aufgeführt haben. Alleine bei der Vorstellung daran wird mir ganz warm ums Herz, mir, die kämpfende Frauen ganz genial findet, und die selber der Kampfkunst verfallen ist.


Artemis, die Griechische, hat weitere coole Aspekte. Erst einmal ist sie Potnia Theron – Herrin der Tiere. Göttin der wilden Natur, vor allem der Wälder und Berge. Da ich schon als Kind gerne durch die Nadelwälder gestreift bin (was ich auch heute noch gerne tue!), hat Artemis auch hier viel, was mir absolut sympathisch ist. Und Tiere mag ich sowieso.

Weiters beschützt sie die Kinder und die freien, unverheirateten Menschen. Wenn eine Griechin heiratete, musste sie der Artemis opfern, um so ihr freies Leben als Mädchen abzuschließen. Für mich als freie Frau, die nicht an Mann und Kind gebunden ist, symbolisiert die freie Göttin damit auch meinen Lebensentschluss selbst, und, so doof das klingen mag, ich glaube, die Göttin wäre mir bitterböse, wenn ich heiraten würde und Kinder in die Welt setzte..... 

    

Da ich jetzt hauptsächlich keltische Gottheiten verehre, habe ich mich natürlich auch gefragt, welche keltische Göttin wohl am ehesten der ephesischen Artemis entsprechen könnte. Es gibt zwar einige Diana-hafte, wie Arduinna, Abnoba oder Belestis. Und einige berauschte Göttinnen (Kybele-haft), wie Aerecura, Meduna/Medb oder Rosmerta. Aber keine hat sich bis jetzt in ihrer Universalität mit der Ephesia messen können. Trotz meines keltischen Weges werde ich die Artemis also weiterhin als Ephesia verehren, als griechisch/phrygische Mutter und Königin der Amazonen.