Oliver Ohanecian
Wer Hexe ist, bestimme ich - Zur Konstruktion von Wirklichkeit im Wicca-Kult
2005 / EB Verlag / EUR 14,80 / ISBN: 3-936912-38-6 / 196 Seiten


   Über den Autor

Oliver Ohanecian, geboren 1967 in Wolfenbüttel, studierte Ethnologie, allgemeine Religionsgeschichte und Iranistik in Göttingen. Nach dem Studium Mitarbeit am DFG-Projekt "Nomadismus und Staatlichkeit am Beispiel der Qadscharendynastie im Iran des 19. Jahrhunderts" am Seminar für Arabistik der Universität Göttingen. Er lebt mit seiner Familie in Göttingen und ist als freier Autor tätig. (Klappentext) 

Angelegt als Magisterarbeit, versucht Ohanecian die Religion Wicca, so wie er sie sieht, zu analysieren. Gleich vorweg - der Versuch misslingt kläglich, auf die Gründe werde ich im Nachfolgenden eingehen.
Der Inhalt des Buches besteht aus einem Sammelsurium von äußerst schlecht recherchierten und zum Großteil einfach falschen historischen Fakten. 


In der Einleitung und den "Grundlegenden Gedanken" bedient sich der Autor der Begriffe "Viabilität" anstelle von Wahrheit und des "radikalen Konstruktivismus". Nun, was hat das mit Wicca zu tun? Zunächst klingt dies schon mal recht wissenschaftlich, sofern man sich nicht schon mal mit Ernst von Glasersfeld oder Heinz von Foerster beschäftigt hat. Mit Wicca hat dies nichts zu tun, sondern wenn, dann allerhöchstens mit JEDER Religion, da jede Religion in ihrer "Wahrheit" ein Konstrukt darstellt. Auf die ursprüngliche Bedeutung und Verwendung (vor allem in der Epistemologie) kann ich aus Platzgründen hier leider nicht eingehen.
Anschließend wird der Begriff der "Postmoderne" abgehandelt. Auch hier entzieht es sich meiner Kenntnis, was dieser Begriff im Zusammenhang mit einer Religion zu suchen hat. Vermutlich der Versuch eines Konstrukts um die Konstruktion von Wirklichkeit im Wicca-Kult im Sinne eines idealistischen Rationalismus zu konstruieren...


Kapitel 3 beschäftigt sich überwiegend mit dem Begriff der Hexe und mit Hexen im historischen Kontext - auch hier wieder die Frage - was hat das mit Wicca zu tun? Hexe und Wicca ist nicht das gleiche - und schon gar nicht die "historische" Hexe in der Zeit der Inquisition. Die Krönung des Kapitels ist allerdings die Behauptung, dass der Begriff des Schamanen im "Wicca-Kult" eine große Rolle spielt. Warum dies so ist, darauf wird leider nicht eingegangen. Aber es füllt etliche Seiten mit Definitionen was denn nun ein Schamane sei. Das hätte mich wirklich interessiert, denn das ist mir vollkommen neu...
Nun folgt der Abschnitt über die Geschichte des "Wicca-Kultes". Für jemanden, der sich damit nicht beschäftigt hat, liest es sich interessant. Für denjenigen, der sich damit beschäftigt hat, sollte vorsorglich ein gutes Magenmittel bereitliegen. Hier werden "Fakten" präsentiert, die schlichtweg nicht der "objektiven" Wahrheit entsprechen. Ich unterstelle dem Autor nicht absichtlich etwas Falsches geschrieben zu haben, nur wenn man schon nur zu einem Thema ein anderes Buch als Quelle verwendet, dann sollte man sich auch davon überzeugen, dass die Angaben korrekt und richtig sind. 
Nur um ein paar Beispiele zu nennen: Dorothy Clutterbuck hatte mit Wicca nichts zu tun, Gardner war niemals Mitglied des O.T.O. (er war lediglich in Besitz einer von Aleister Crowley ausgestellten Charta zur Eröffnung eines O.T.O. Camps), die deutsche "Algard" Tradition geht nicht auf Janet und Stewart Farrar zurück, Rudolf Steiner war niemals Mitglied des O.T.O., die Kurzbiografie von Charles Leland ist ziemlich daneben (ich empfehle hier die 2-bändige Biographie die Lelands Nichte Elizabeth Robins Pennell im Jahr 1906 veröffentlicht hat), dass George Pickingill ein "Hoax" war ist bekannt - dafür braucht man keine 3 Seiten zu verschwenden, usw. usw.


Darauf folgen Abhandlungen über die Women's Liberation, Dianic Wicca, Starhawk und es wird ständig aus Vivianne Crowleys Büchern zitiert (die psychologischen Ansätze sind ja recht nett, nur eben nicht Wicca Allgemeingut, sondern eben EINE Meinung), sowie den eigenen Erfahrungen, die der Autor mit deutschen Wiccas gemacht hat. Nur leider hat er übersehen, dass dies alles mit dem Gardnerian oder auch Alexandrian Wicca, also dem traditionellen britischen, sehr wenig zu tun hat. . 
Aufgrund dieser Sachlage maßt sich der Autor an eine Religion zu beurteilen. Vergleichbar wäre dies mit dem Versuch das Christentum zu beschreiben, in dem man an einem Gottesdienst der Presbyterianer teilnimmt und dann eine Abhandlung über die römisch-katholische Kirche schreibt. Einzelne Erfahrungen oder Aussagen werden pauschaliert und auf Wicca im Allgemeinen umgeschlagen. 
Sehr amüsant ist allerdings der Bericht vom Bilsteiner PEWC 1999 sowie einer von ihm miterlebten "2. Grad Initiation". Spätestens hier hätte er sich aber fragen müssen, ob dies Wicca oder vielleicht etwas anderes ist, da er das Initiationsritual aus dem Gardner BOS (zumindest in groben Zügen) zur Verfügung hatte und für jeden offensichtlich anders ist, als das was er miterlebt hat.


Ich hoffe, dass der Professor, der die Magisterarbeit zu beurteilen hatte, etwas besser gesonnen war als ich, allerdings würde dies nicht für den Professor und dessen Wissen sprechen.
Im Anhang des Buches finden sich noch etliche "Diskussionen" aus Internetforen, die aber offensichtlich nicht von initiierten Wicca geführt wurden, auch hier ist mir der Sinn dessen unklar.
Fazit: Konstruktion misslungen - man kann sein Geld sinnvoller ausgeben.