Gerald B. Gardner
Ursprung und Wirklichkeit der Hexen
1965 / Otto Wilhelm Barth Verlag / 163 Seiten
Neuauflage: 2004 / Heiden-Verlag / ISBN: 393767408X / 167 Seiten
englischer Originaltitel: Witchcraft Today / 1954 / Rider & Co, London
verschiedene Neuauflagen: z.B. 2004 / Citadel Press / ISBN: 0806525932  / 224 Seiten


   Über den Autor

Gerald Brousseau Gardner wurde am 13.06.1884 in Blundellands in der Nähe von Liverpool geboren. Seine Familie war schottischer Abstammung, seine Urahnin Grissell Gardner wurde im Jahre 1610 in Newburgh als Hexe verbrannt. Zwischen 1923 und 1936 arbeitete Gardner für die britische Regierung als Inspekteur der englischen Gummiplantagen in Malaysia, Borneo und Singapur. 1936 quittierte er den Dienst und konnte sich seinem Hobby, der Archäologie, widmen. Nach seiner Rückkehr nach England fand er Anschluss an eine Gruppe von Hexen, in deren Coven er aufgenommen wurde. Er gilt als DER Wegbereiter des modernen Hexentums und als Begründer der Religion Wica (Wicca). Gardner starb am 12.2.1964 an Bord eines Schiffes auf der Rückfahrt vom Libanon und wurde am 13.2.1964 in Tunis beerdigt.

Das vierte Buch von Gerald B. Gardner, das nach den Werken "Keris and Other Malay Weapons" (1936), "A Goddess Arrives" (1939) und "High Magick’s Aid" (1949) veröffentlicht wurde und zum ersten Mal kein Roman ist, dient hauptsächlich dazu, im weitesten Sinne "Öffentlichkeitsarbeit" für die Religion der Hexen zu betreiben.

Die Anthropologin Margaret A. Murray, die das Vorwort zu diesem Buch schrieb, meint "Dr. Gardner zeigt in seinem Buch, wie viel ´Hexerei´ von den alten Ritualen herstammt und damit nichts zu tun hat mit Zauberei und anderen üblen Handlungen, sondern der ernsthafte Ausdruck jenes Gefühles zu Gott ist, das auch - vielleicht eindrucksvoller, aber nicht weniger wahr und ernst - in den Gottesdiensten der christlichen Kirche zum Ausdruck kommt."

Das Trauma der Hexenverfolgung ist 1954 noch allgegenwärtig (kurz zuvor wurden in England die "Witchcraft Laws" außer Kraft gesetzt) - das merkt man auch sehr stark an Gardners’ Aussagen. Er bemüht sich um Schadensbegrenzung, betont immer und immer wieder, dass der Hexenkult nichts mit der Verehrung des Teufels zu tun hat.

Mir werden die verschiedensten Fragen über Hexenkult gestellt und ich kann nur antworten: Fast alle primitiven Völker hatten Initiationsriten; manche galten als Einweihung zur Priesterschaft oder zur Weckung magischer Fähigkeiten, manche für geheime Gesellschaften oder Mysterien. (S. 13) ... Ich behaupte nur, dass die Hexen, die in vielen Fällen von solch primitiven Völkern abstammten, noch viele ihrer Riten ausführen. (S. 14)

Gardner bemüht sich, die Rituale des Hexenkults als harmlos und primitiv darzustellen, wahrscheinlich um Vertretern der Kirche begreiflich zu machen, dass dieser neu aufflammende "Götterkult" keinerlei Bedrohung ihrer Macht darstellt.

... aber die anderen Riten sind einfacher Art, auf einen bestimmten Zweck ausgerichtet und gleichen in keiner Weise denen der römisch-katholischen oder irgend einer anderen Kirche, die ich kenne. Wohl gibt es manchmal eine kurze Zeremonie, in der Kuchen und Wein gesegnet oder gegessen werden. Dies mag eine Nachahmung des frühen Liebesmahls der Christen sein. Aber es wird nicht behauptet, dass der Kuchen in Fleisch, der Wein in Blut verwandelt werden. ... (S. 17) Es gibt keine Kreuze, auch keine umgekehrten, keine Predigten - weder zum Spott noch in ernster Art - keine Absolution, ... (S. 18).

Gardner erklärt, dass die Hexen überglücklich sind, ihre alten Rituale wieder ausführen zu dürfen und bezeichnet als ihren obersten Wunsch, in Frieden leben zu dürfen.


Im zweiten Kapitel definiert Gardner, der als Anthropologe hierzu einen besonderen Zugang hat, die Entstehung des Göttinnenkults. In der Zeitrechnung siedelt er ihn von der Mitte des neunten bis hin zur Mitte des siebenten Jahrtausends vor Christus an.

Im Steinzeitalter waren gute Ernte, guter Jagd- und Fischfang die Hauptanliegen der Menschen ... Es war die Pflicht der Hexen, durch ihre Riten hierfür zu sorgen ... (S. 26)

Erst mit dem Glauben an ein Leben nach dem Tod und die Reinkarnation kam ein Gott hinzu, der für die Wiedergeburt verantwortlich war.

Der Gott, der ein solches Paradies beherrscht, muss meiner Meinung nach der Tod gewesen sein. Aber irgendwie wird er mit dem Gott der Jagd identifiziert und trägt deshalb Hörner... (S. 27)

Zu diesem Zeitpunkt wurde laut Gardner zum ersten Mal ein Mann Führer der Hexen, doch die Frau und somit auch die Göttin blieben die Vertreterinnen. Dieser Gott war aber nicht nur der des Todes, sondern der der Wiedergeburt.

Zur Entstehung der Hexenverfolgung schreibt Gardner folgendes:

Vom 11. Jahrhundert an hatte die Kirche eine Anzahl gefährlicher Feinde. Im südlichen Europa verbreiteten sich die Lehren der Manichäer. Ihre verschiedenen Sekten lebten friedlich nebeneinander und hatten mit den Katharern vieles gemeinsam. .... Die Kirche beschuldigte die Katharer der Freizügigkeit in allen Arten von Vergnügen und Ausschweifungen, ..... warf ihnen die Lehre der Seelenwanderung von einer Kreatur zur anderen vor .... (S. 29) Zu den Anschuldigungen gegen diese Sekten gehörte auch Hexerei. Kreuzzüge wurden gegen sie geführt, wobei zahlreiche Anhänger niedergemetzelt wurden, so dass sich die Sekten im Untergrund verbargen. Die Verfolgung richtete sich auch gegen die Heiden, die Bevölkerung abgelegener Heidegegenden, die ihre alte Religion weiter ausübte. Scheinbar war es allgemeine Ansicht, dass alle Heiden Häretiker und Hexen, und dass alle Hexen zwangsläufig Häretiker waren (S. 30).


Im dritten Kapitel wendet er sich schließlich dem Hexenglauben zu. Er bezeichnet es als

schwer, genau zu umreißen, was die heutige Hexe glaubt. Ich kenne eine, die zeitweise zur Kirche geht .... Sie glaubt fest an die Reinkarnation, wie dies auch viele Christen tun ... Sie glauben an viele verschiedene Himmel mit verschiedenen Göttern. (S. 36)

Ich persönlich sehe diesen Absatz wiederum als "Schadensbegrenzung" im weitesten Sinn. Es ist, als wenn Gardner sagen wollte "Hexen sind harmlose Spinner". Noch deutlicher tritt diese Einstellung im unteren Teil dieser Seite zu Tage

..., ergibt sich aus dem Mythos der Göttin, die den Hauptteil ihrer Rituale bildet. Es ist eine Art von primitivem Spiritualismus. Die Hexen besitzen kein Buch über ihre Götter. Deshalb ist es für mich schwer herauszufinden, an was sie tatsächlich glauben.

Im Anschluss erzählt er kurz den Abstieg der Göttin Ischtars in die Unterwelt und erklärt die drei Hauptpunkte dieses Mythos, nämlich Liebe, Tod und Wiedergeburt zum Zentralgedanken des Hexenkults.

Als Argument für die Anbetung der Göttin nennt er die einstige

Angst der Primitiven, unter Fremden in einem anderen Stamm wiedergeboren zu werden. So beteten sie und vollzogen Riten, um die Gewissheit zu erlangen, zur gleichen Zeit und am gleichen Ort wie die Geliebten wiedergeboren, von diesen im neuen Leben erkannt und wiedergeliebt zu werden (S. 38)

Aus diesen Riten entstand nach Gardners Meinung der Göttinnenkult. Auch mit dem Vorurteil, dass Hexen das Christentum verhöhnen und schmähen würden, versucht Gardner aufzuräumen, indem er entgegnet, dieses wäre weder ihm noch seinen Freunden jemals aufgefallen. Ebenso zählt das Ableugnen vom Christentum vor dem Eintritt in den Hexenkult nicht zu den üblichen Praktiken, so der Autor.

Andererseits bezeichnet er es als traurig, dass Hexen

...praktisch selbst alles über ihren Gott vergessen haben. Einzig aus den Riten und Gebeten an ihn, kann ich einiges entnehmen. (S. 39)


Im nächsten Kapitel verfolgt Gardner die Frage, wer die einzelnen Riten des Hexenkults erfunden haben könnte und erwähnt in diesem Zusammenhang Alister Crowley, Kippling und den Golden Dawn.

Doch da dieser Orden besondere Ziele und Zwecke verfolgte, wären sie meines Erachtens die Letzten gewesen, die den Hexenkult gestalteten. (S. 43)

Da der Autor von Überlieferungen durch Großväter und Großmütter weiß, die schon vor 130 Jahren an Zusammenkünften teilnahmen, ordnet er den Ursprung des Hexenkults dem Italien zur Renaissancezeit zu. Gewisse Verhaltensmaßnahmen, wie der Gebrauch des Kreises, sind laut Gardners Vermutung jedoch

örtliche Erfindungen, beeinflusst von Druiden oder noch früheren heidnischen Priestern. (S. 43)

Auch soll der Hexenkult von griechisch-römischen Mysterien beeinflusst worden sein.


Lebten Feen einst unter den Menschen?
Laut Gardner war dies der Fall - und zwar sogar bis ins 16. Jahrhundert hinein. Diese These unterstreicht er durch zahlreiche Überlieferungen, die besagen, dass das "Kleine Volk" nicht nur kleinwüchsig, sondern auch sehr nett und freundlich gewesen sei, wenn man sie nicht unnötig ärgerte. Von den Menschen wurden sie als Hausdiener gehalten. Auch gab es damals viele Ehen zwischen dem Feenvolk und den Menschen. Sie lebten in den nordischen Ländern, also in Schottland oder Irland. Grund für ihr Aussterben war die Vertreibung oder Erniedrigung durch die Eroberer. Aber nach der Meinung des Autors gibt es auch heute noch Nachfahren des Kleinen Volks in England oder Frankreich.

Meiner persönlichen Ansicht nach ist diese Theorie nicht nachzuvollziehen. Gardner schreibt beispielsweise, dass das Feenvolk gerne kleine Kinder stahl, um sie in ihren eigenen Reihen aufzuziehen. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass Feen keinen Lärm, also auch das Schreien von Kleinkindern, nicht mögen. Auch erscheint mir persönlich die Theorie, dass einst Feen unter dem "gewöhnlichen" Volk oder sogar unter Hexen lebten, als ziemlich unwahrscheinlich, da sie sehr scheu sind und Menschen im Allgemeinen meiden.

Es gibt zwar Angehörige des "Kleinen Volkes", die im Körper eines Menschen wiedergeboren werden, doch sie fühlen sich darin sehr unwohl - und vor allem sind diese "naturgesetzlichen Widrigkeiten" sehr selten. Für mich ist die Behauptung Gardners, dass Franzosen oder Engländer Nachkommen des Feenvolkes wären, schlicht an den Haaren herbeigezogen.


Hexen und Tempelritter
Die Gemeinsamkeiten dieser beiden Kulte versucht der Autor in einem eigenen Kapitel aufzuzeigen. Davor widmet er sich aber der Frage, wie es überhaupt zur Inquisition kam. Seiner Meinung nach gab es früher sehr viele Hexenzusammenkünfte, an denen neben dem einfach "Volk der Heide", den Heiden oder Nichtchristen, auch Herren und Damen aus dem Adelsgeschlecht teilnahmen. In vielen Fällen sollen es sogar christliche Priester gewesen sein, die die sogenannten Fruchtbarkeitsriten (Beltane-Feiern) anführten.

1318 und 1320 wurden von Papst Johannes XXII. besonders grausame Bullen gegen die Hexerei veröffentlicht, die er als Ketzerei bezeichnete. Diese Bullen läuteten die jahrhundertelangen Hexenverfolgungen ein. Auch richteten sich die Anklagen erstmals gegen die Tempelritter, die nach Ansicht der Kirche eine massive Bedrohung ihrer Macht darstellten. Die Beschuldigungen, die gegen die Templer vorgebracht wurden, beziehen sich auf folgende Punkte:

1. Leugnung Christi und Beschmutzung des Kreuzes
2. Anbetung eines Idols
3. Messe in pervertierter Form
4. Rituelle Morde
5. Tragen eines Gürtels von häretischer Bedeutung
6. Ritueller (oder obszöner) Kuss
7. Veränderung der Worte der Messe und unorthodoxe Art der Absolution
8. Treulosigkeit gegenüber anderen Gliedern der christlichen Armee in Palästina
9. Unmoral (S. 66)

Gardner widerlegt diese Anklagepunkte und bringt einige Punkte daraus (wie beispielsweise den rituellen Kuss) mit den Riten der Hexen in Verbindung. Er meint dadurch ein Brücke gefunden zu haben, warum sich die Rituale des Hexenkults und jene der Templer in gewisser Weise ähneln und folgert:

Ich möchte nicht behaupten, dass die Templer Mitglieder des Hexenkultes waren. Einige von ihnen aber haben, auch wenn sie mehr oder weniger christlich waren, doch Erinnerung an alte Kulte von Tod und Auferstehung bewahrt und möglicherweise einige mit ihnen verbundene magische Handlungen ausgeübt. (S. 70)

Der Autor bezieht sich in seinem Buch des öfteren auf ein 1952 geschriebenes Buch von Pennethorne Hughes mit Titel "Witchcraft". In diesem verbreitet Hughes massive Vorwürfe gegen die Hexerei. Er beschuldigt Hexen beispielsweise Tiere zu vergiften, Fehlgeburten zu verursachen und dem Teufel zu dienen.

Gerald Gardner widerlegt dies, indem er meint

Wenn Hughes wirklich zu wissen meint, wovon er redet, dann muss ich ihm aus bestem Wissen versichern, dass die meisten dieser Anschuldigungen falsch sind. Hexen haben Zauberriten ausgeübt, um Hitler nach der Kapitulation Frankreichs von seiner Landung in England abzuhalten. Sie kamen zusammen, errichteten einen großen Kraftkegel und schleuderten gegen Hitler den einen Gedanken "Du kannst das Meer nicht überkreuzen ... Unmöglich zu landen. (S.101)

Gardner erwähnt auch, dass er einen solchen Zeremonie beiwohnte.

Im Kapitel "Wer sind Hexen?" erwähnt er einige Textstellen aus dem Hexenhammer (Malleus Maleficorum) und berichtet darüber, wie Verdächtige gefoltert wurden um dann schließlich bei lebendigem Leib verbrannt zu werden. Über die Inquisitoren schreibt Gardner folgendes:

"Inquisitoren waren sehr erfahren in Kreuzverhören, aber nicht immer imstande, die Wichtigkeit kleiner Einzelheiten, die sie erfuhren, auszuwerten. Ihr einziges Anliegen war, Häresie auszutreiben, und dies taten sie mit Gründlichkeit (S. 103/104) ... Es ( Malleus Maleficorum) berichtet, dass ein Verhör mit der Frage begann, ob die angeklagte Person an Hexerei glaube oder nicht und fügt hinzu, dass man bedenken soll, dass Hexen diese Frage im allgemeinen leugneten. Wenn also der Schuldige leugnet dann fährt der Inquisitor fort "Also ist eine Hexe, die verbrannt wird, immer unschuldig verurteilt." Das Leugnen der Hexerei besiegelte sofort das Los der Verurteilten. Denn nach dem Hexenhammer ist es die größte Häresie, nicht an Hexerei zu glauben. Wenn aber der Angeklagte die Frage bejahte, dann wurde er durch Folter zum Bekenntnis gezwungen (S. 105).

Da Hexen immer auch ihre Kinder einweihten, wurden diese auch oft mit den Müttern gemeinsam bei lebendigen Leib verbrannt. Der Autor beschreibt den Fall eines neunjährigen Buben, der gleichzeitig mit seiner Mutter, Mrs. Huke, 1718 in England gehängt wurde.

Den neuzeitlichen Hexen prophezeite Gardner 1954 noch keine große Zukunft:

Dennoch gibt es heute noch Hexen ... Ich glaube aber, dass man Abschied von ihnen nehmen muss. Der Kult ist im Untergehen, wie ich fürchte. Grund hierfür sind zum Teil die neuzeitlichen Bedingungen, die engen Häuser, die Kleinheit der modernen Familie, vor allem aber die Erziehung. ... Der andere Grund ist, dass die Wissenschaft die Hexe abgesetzt hat. Wetterberichte, Heilmittel und Gesundheitsdienste, Spiele im Freien, Schwimmen, Nudismus, Film und Fernsehen haben in großem Maße das Wirken der Hexen ersetzt. (S. 125/126)

Dennoch folgert er

Aber das größte Geschenk, das sie zu geben vermochten, hat noch niemand ersetzt: nämlich Frieden, Freude und Zufriedenheit. (ebda)


Fazit:
Gerald B. Gardners Buch "Witchcraft Today" ist ein Werk mit einigen Ungereimtheiten: Einerseits schreibt er über historische Fakten ohne das genaue Jahr oder zumindest das Jahrhundert anzugeben, andererseits setzt er Mythen, wie beispielsweise "Feen, die mit Menschen verheiratet waren" in die geschichtliche Gegenwart.

Wer in "Witchcraft today" nach magischen Praktiken und Ritualanweisungen sucht, wird enttäuscht: Denn Gardner darf, wie er an mehreren Stellen betont, 1954 noch nichts über die Rituale der neuzeitlichen Hexen schreiben, da die Angst vor moderner Hexenverfolgung noch allgegenwärtig ist.

Interessant sind an diesem Buch jedoch die Details über Hexenverfolgung und Hexenverbrennung und die Geschichte des Hexenkults. Für mich persönlich ist "Witchcraft today" insgesamt ein informatives Buch, das jedoch an einigen Stellen keinen Anspruch auf Wahrheit erheben kann.